Unlängst stieß ich auf eine sehr interessante Form der Geschichtsvermittlung im Internet. Das „Re-enactment“ (Nachspielen) eines historischen Ereignisses durch „Tweets“ (140-Zeichen lange Statusupdates auf Twitter) auf http://www.twhistory.org/.
Bisher habe ich mich mit der Möglichkeit Twitter zur Darstellung historischer Ereignisse zu nutzen noch nicht beschäftigt und bin nur zufällig durch einen Blogeintrag des Kollegen Jan Hodel darauf gestoßen. Seinen Anmerkungen zum Umgang mit Twitter als Medium zur Geschichtsvermittlung ist dabei nichts hinzuzufügen.
Hervorheben möchte ich allerdings die Frage:
Wollen wir das: Geschichte als atemloses “dann geschah das, dann geschah das” einer Chronik, die in endloser Reihe Kriegshandlungen und Tötungsakte, Leid und Menschenverachtung darstellt?
Denn das ist meines Erachtens der Kern des Problems von Twitter als Medium zur Geschichtsvermittlung. (Im Zitat bezieht sich Hodel allerdings auf ein ganz spezielles Projekt eines jungen britischen Historikers, der den Zweiten Weltkrieg nachtwittern will – ein höchst zweifelhaftes Vorhaben.)
Doch zurück zur ausgehenden Frage: Wollen wir zurück zur Chronik, die eine wirkliche Einordnung durch vermeintliche Detailtreue vermissen lässt?
Geschichtsschreibung und -vermittlung sind nicht von Geschichtsdeutung und damit von Geschichtspolitik zu trennen. Wer behauptet „nur die Fakten“ nachzuerzählen, unterschlägt, dass bereits die Auswahl jener Fakten durch ein bestimmtes (politisch) geprägtes Geschichtsbild gefiltert wurde. Die Verkürzung einer Darstellung historischer Ereignisse durch ein vermeintliches Echtzeit-Nacherzählen in jeweils 140 Zeichen zementiert auf diese Weise feste historische Narrative und versperrt den Blick auf alternative Perspektiven.
Dennoch: Ein Projekt wie twhistory.org steht als Projekt ja ganz offensichtlich nicht im luftleeren Raum, sondern soll ein Angebot sein für Lehrende, sich mit neuen Formen der Geschichtsvermittlung zu beschäftigen. Denn trotz der berechtigten Kritik verlieren Schüler und Studierende auf diese Weise vielleicht noch eher die Angst, sich mit Primärquellen zu beschäftigen, wie es die Eigenwerbung auf twhistory.org nahelegt:
Students learned to see primary sources as accessible, not scary.
Und das wäre ein schöner Erfolg.