Autor: kt

  • Rezension: Sven Beckert: King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus

    Rezension: Sven Beckert: King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus

    9783406659218_cover[1]In der Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen: unter dem Etikett der „transnationalen“ bzw. „Globalgeschichte“ werden in einem stark wachsenden Feld der Geschichtswissenschaft Wechselwirkungen und Verflechtungen der globalisierten Welt untersucht und dabei der Versuch unternommen, die eurozentrische und nationalgeschichtliche Perspektive älterer Historiografie zu überwinden.[1]

    Insbesondere global gehandelte Güter wie Kaffee, Zucker, Tee oder Baumwolle bieten sich an, transnationale Verflechtungen kenntlich zu machen und ermöglichen eine Verbindung von regionaler Mikro- mit globaler Makrogeschichte.[2]

    Der Harvard-Professor Sven Beckert hat nun mit „King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kaptialismus“ eine beeindruckende Studie vorgelegt, die anhand Baumwollproduktion und –industrie Antworten auf die Frage sucht, warum und wie es zu den bis heute wirkmächtigen Unterschieden zwischen dem globalen Norden und Süden – der „Great Divirgence“ gekommen ist.[3]

    Dass Beckert Baumwolle in den Fokus seiner Forschung stellt, ist einleuchtend: Wie kaum ein anderer Rohstoff steht die Veränderung der Baumwollproduktion am Anfang der globalen Ausbreitung des Kapitalismus – von intensiver Arbeitsteilung, Produktionssteigerung und expandierender sozialer Ungleichheit.

    Dabei begnügt sich Beckert nicht mit konventionellen Antworten im Rahmen des Modernisierungsnarrativs – nach dem Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Kapitalismus zusammengedacht werden, sondern stellt Zusammenhänge zwischen der Transformation des Wirtschaftssystems und der imperialen Expansion her. Denn, so Beckert, Sklaverei, kolonialer Landraub und der Einsatz von Zwang und Gewalt zur Gewinnmaximierung seien nicht nur Ausrutscher des kapitalistischen Systems. Vielmehr stünde die von ihm als „Kriegskapitalismus“ bezeichnete Phase der „Enteignung von Land und Arbeitern in Afrika, Asien und den Amerikas“ am Anfang eines sich global ausbreitenden Kapitalismus und brachte den Industriekapitalismus erst hervor.

    Damit widerspricht Beckert auch einem Trugschluss wirtschaftsliberaler Theoretiker, dass sich der Markt optimaler Weise ohne die Einmischung des Staates entwickeln würde. Der Staat habe im Gegenteil erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass es einen Markt gibt. Die Genese und Entwicklung moderner Nationalstaaten und die Globalisierung schlössen demzufolge auch nicht aus sondern bedingen und verstärkten sich wechselseitig: „Wenn unser angeblich neues globales Zeitalter sich auf revolutionäre Weise von der Vergangenheit unterscheidet, […] dann dadurch, dass Kapitalbesitzer erstmals in der Lage sind sich von genau jenen Nationalstaaten zu emanzipieren, die in der Vergangenheit ihren Aufstieg ermöglicht haben.“[4]

    Beckerts Verdienst ist, dass er diese Zusammenhänge nicht nur als große These verfolgt, sondern sie auf einer breiten empirischen Basis belegt. Herausgekommen ist keine theoretische Analyse des globalen Kapitalismus sondern ein Breites Panorama des „Kapitalismus in Aktion“.

    [1] In den letzten Jahren erschien eine Reihe globalgeschichtlicher Studien, von denen drei herausragende Arbeiten genannt werden sollen: Bayly, Christopher Alan: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780 – 1914, Frankfurt 2006; Wendt, Reinhard: Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500, Paderborn [u.a.] 2007; Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009. Viele Studien, denen das Etikett „transnationale“ bzw. „Globalgeschichte“ anhaftet, sind freilich Studien globaler Phänomene im nationalen Kontext. Oft ist der Unterschied zur historischen Komparatistik zudem unklar. Der schwierigen Etikettierung zum Trotz, erweitern diese Arbeiten die Perspektive der nationalen Geschichtsschreibung und ermöglichen dadurch einen fruchtbaren Zugriff auf historische Gemengelagen, so u.a. Conrad, Sebastian: Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich, München 2006.

    [2] Vgl. u.a.: Clarence-Smith, W. G.; Topik, Steven: The global coffee economy in Africa, Asia and Latin America, 1500-1989, Cambridge, UK, New York 2003; Mintz, Sidney W.: Sweetness and power. The place of sugar in modern history, New York 1985; Mair, Victor H.; Hoh, Erling: The true history of tea, New York, London 2009; Riello, Giorgio: Cotton. The fabric that made the modern world, Cambridge 2013.

    [3] Pomeranz, Kenneth: The great divergence. China, Europe, and the making of the modern world economy, Princeton, N.J. 2000.

    [4] Beckert, Sven: King Cotton: Eine Globalgeschichte des Kapitalismus, München 2014, S. 17.

  • Großbritannien „entdeckt“ 170.000 Akten

    Großbritannien „entdeckt“ 170.000 Akten

    „Surprise, surprise. We’ve heard this before.“ kommentiert Harvard Professorin Caroline Elkins in der VICE den neuesten Fund vermeintlich verschollener Akten des Foreign and Commonwealth Office. Über 600.000 Akten (unter anderem bisher unbekannte Akten über den transatlantischen Sklavenhandel) lagern noch in den „special collections“ des FCO, die der Öffentlichkeit nicht zugängig sind. Damit verstößt das FCO seit Jahren gegen das britische „Public Records“ Gesetz, das den öffentlichen Zugang zu Archivgut regelt. Schon länger besteht unter Historikern der Verdacht, dass das FCO die Akten der „special collections“ wissentlich geheimhält.

     

     

  • Globalgeschichte im Harvard Magazine

    Globalgeschichte im Harvard Magazine

    Das Harvard Magazine beschäftigt sich in seiner aktuellen Ausgabe mit den veränderten Perspektiven der Geschichtswissenschaft.

    Global history is “the kind of idea that, once you have it, is impossible to go back from,” Beckert continues. “You can’t. It’s going to be with you forever because it’s just a different way of seeing history.” While it opens new questions, it “also opens up totally new understandings of particular historical problems such as the problem of slavery. You understand, on a global scale, that the global problem, from the perspective of European colonialists and European entrepreneurs, is really how to transform the countryside. The resulting transformation takes different forms in different parts of the world, but sometimes it’s also quite similar. After the Civil War, for example, sharecropping becomes dominant in the United States, but it’s also important in Egypt, Mexico, Brazil, and other parts of the world. People in these places learn from one another. They observe one another.”

    http://harvardmagazine.com/2014/11/the-new-histories

  • Kritzeleien in Mittelalterlichen Handschriften

    Kritzeleien in Mittelalterlichen Handschriften

    Erik Kwakkel (nebenbei bemerkt: was für ein toller Nachname) erforscht Kritzeleien in mittelalterlichen Handschriften.

    Sein tumblr-Blog ist so voll von Skurrilitäten, Niedlichkeiten und Fantastischem, dass ich gar nicht aufhören konnte, darin zu lesen.

    Starkes Stück!

    (Artikelbild von Erik Kwakkel. Im Original: Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, MS 95 (Missal, 12th century).)

  • IS-Terror

    Wer dieser Tage den Fernseher einschaltet, Nachrichtenseiten besucht oder Zeitung liest, wird sich des Eindruckes nicht erwehren können, dass die Dämonen der Vergangenheit zu Teufeln der Gegenwart geworden sind.

    Der Antagonist von Leben, Freiheit und Würde

    In Syrien und im Irak ist mit dem „Islamischen Staat“ ein Ableger von Al-Qaida entstanden, der so bösartig, so grotesk und radikal als Antagonist von Leben, Freiheit und Würde der dort lebenden Menschen auftritt, dass es unmöglich scheint dies in irgendeiner Weise zu ignorieren.

    Die Solidarität mit der kurdischen Bevölkerung, die versucht den Angriffen des IS standzuhalten, bringt dieser Tage viele Menschen auf die Straße und führte in Hamburg vergangene Woche zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Salafisten.

    Selbst Menschen, die nicht zum Bellizismus neigen, stellen sich die Frage, wie mit einem militärisch-politischen Akteur umgegangen werden kann, der die Negierung fast aller wesentlicher Fundamente einer aufgeklärten, demokratischen, rechtsstaatlichen Gesellschaft repräsentiert und zur Bedrohung nicht nur der Bevölkerung in Syrien und im Irak sondern der gesamten umgebenden Region geworden ist und letztlich auch einen totalitären weltumspannenden Allmachtsanspruch formuliert. (Hier gibt es einen ISIS Fact Sheet von Adopt A Revolution: https://www.adoptrevolution.org/isis-factsheet/).

    Waffenlieferungen, Luftwaffeneinsätze, Bodentruppen?

    Mit Diplomatie und guten Worten wird sich der IS jedenfalls nicht stoppen lassen – das haben eigentlich alle erkannt.

    Und so denkt selbst die LINKE, bisher für ihre rigorose und grundsätzliche Ablehnung aller militärischen Interventionen bekannt, öffentlich über Militäreinsätze nach.

    Und doch möchte man den politischen Entscheidungsträgern zurufen, dass sie doch bitte ein paar Geschichtsbücher in die Hand nehmen mögen. Denn der IS ist auf einem Boden der Destabilisierung und des Machtvakuums gewachsen, den Amerika und Europa mit zu verantworten haben. Und so kann Angela Merkels Satz „ISIS liegt in unserem Verantwortungsbereich.“ zugleich als Bekenntnis wie als Lagebeschreibung gelesen werden.

     

  • Kontrafaktisches Afrika

    Kontrafaktisches Afrika

    africasanscolonizationKontrafaktische Geschichtsschreibung wird von den meisten Historikern nicht als wirklich seriöse Methode anerkannt, da die Möglichkeit der Falsifizierbarkeit nicht gegeben ist.

    Die Frage nach einem „Was wäre wenn?“ kann aber besonders in didaktischen und pädagogischen Zusammenhängen erhellend wirken und einem deterministischen und teleologischen Geschichtsbild entgegenwirken.

    In diese Sparte fällt auch eine gerade in der Washington Post publizierte Karte Afrikas, welche die Dinge sprichwörtlich auf den Kopf stellt und dabei helfen kann, einen gewissen Teil der Konflikte und Probleme, die durch die Kolonisierung entstanden sind, zu hinterfragen.

    Auf Basis von politischen, ethnischen und linguistischen Studien zeichnete der schwedische Künstler Nikolaj Cyon eine Karte Afrikas, wie sie sich aus den Verhältnissen, die um 1844 vorlagen, hätten entwickeln können.

    Ungewiss bleibt dabei, welche der vielfältigen ethnischen und linguistischen Gruppen 1844 tatsächlich jene Ausbreitung hatten. Unwahrscheinlich ist auch, dass alle dieser Gruppen, Staaten nach Westfälischem System mit klar definierten Territorien gebildet hätten.

    Zum Vergleich der Ikonografie eine 1885 (direkt nach der Kongokonferenz) Herausgegebene Karte, in der die jeweiligen europäischen Ansprüche farbig markiert wurden.
    Zum Vergleich der Ikonografie eine 1885 (direkt nach der Kongokonferenz) Herausgegebene Karte, in der die jeweiligen europäischen Ansprüche farbig markiert wurden.

    Dennoch ist die Karte ein gutes Beispiel für gelungene kontrafaktische Geschichtsschreibung. Sie bedient sich der ikonographischen Ästhetik der politischen Karten des 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts – und dreht sie auf den Kopf. Diese Verfremdung kulturell gelernter Perspektiven kann dabei helfen, jene wirkmächtigen Bilder zu dekonstruieren, die durch Karten vermittelt wurden und noch heute ein Bild des prä-kolonialen Afrikas zeichnen, das durch das Vorhandensein von großen „weißen Flecken“ geradezu auf die Entdeckung und Kolonisierung wartete.

    Die Zusammenstellung der Washington Post ist insgesamt sehr wertvoll und bekommt ein dringendes Lesezeichen.

     

  • Historischer Atlas: Wie weit kommt man mit einer Tagesreise ab New York?

    Historischer Atlas: Wie weit kommt man mit einer Tagesreise ab New York?

    Die Moderne ist eine Zeit der massiven Beschleunigung. Wir erleben seit den 1990er Jahren eine enorme Beschleunigung der Kommunikation, mithilfe derer wir in Echtzeit mit Menschen überall auf der Welt schreiben, telefonieren oder videotelefonieren können.

    Die Beschleunigung und Veränderung der Mobilität wird heutzutage als beinahe selbstverständlich betrachtet. Dabei hilft es die Perspektive manchmal zu erweitern. Strecken, die früher Tage, Wochen oder Monate gedauert haben, brauchen heute mit dem geeigneten Verkehrsmittel nur noch wenige Stunden.

    In einem digitalisierten historischen Weltaltlas, lässt sich nachvollziehen, wie weit man innerhalb einer Tagesreise ab New York gekommen ist.

    Quartz hat daraus eine leicht verständliche Karte gestaltet:

     

    timetravelto_nyc

    Quelle


    Der digitalisierte Atlas ist aber mehr als nur diesen einen Blick wert. Es gibt nicht nur einfach Digitalisate zu betrachten, der Atlas lässt sich vielmehr interaktiv bedienen. So können Entwicklungen im Zeitverlauf auch animiert betrachtet werden. Zudem gibt es eine gute Einleitung zu dieser digitalen Ausgabe des historischen Atlas der USA:

    historischer_atlas

    Quelle

     

     

  • Sklaverei: Karibische Staaten verklagen ehemalige Kolonialmächte

    Nachdem die Klage von Veteranen der „Mau Mau Revolution“, die in den 1950er Jahren das koloniale Selbstverständnis Großbritanniens erschütterte, 2012 spektakulären Erfolg hatte und zu einer neuen und intensiven historischen Aufarbeitung führte, vertritt dieselbe Anwaltskanzlei eine neue Klage zahlreicher Staaten der Karibik gegen Großbritannien, Holland und Frankreich wegen der Verbrechen und des Schadens der durch den transatlantischen Sklavenhandel verursacht wurde.

    Auch wenn diese Klage tatsächlich weniger erfolgversprechend ist, wie jene der Mau Mau Veteranen, so birgt auch diese Klage das Potenzial zu einer umfassenden historischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung.

     

    Quelle: http://www.nytimes.com/2013/10/21/world/americas/caribbean-nations-to-seek-reparations-putting-price-on-damage-of-slavery.html

  • Words that last – oder doch nicht?

    Words that last – oder doch nicht?

    words-that-last
    Screenshot (Quelle: http://www.washingtonpost.com/wp-srv/special/national/words-that-last/)

    Vor einigen Tagen ging eine Studie der University of Reading durch die Medien, in der ein Team von Linguisten 23 vermeintlich „ultraconserved words“ ausgemacht haben, die sich seit 15 000 Jahren in diversen Sprachen nahezu unverändert erhalten haben und auf eine gemeinsame Ur-Sprache („proto-Eurasiatic“) zurückgehen würden.

    Die dahinterstehende Idee ist faszinierend. Könnte man sich in eine Zeitmaschine setzen und einige Tausend Jahre zurück reisen, so würden die Menschen, auf die man dann in Europa oder Asien träfe folgenden Satz verstehen (der haupstächlich aus diesen „ultraconserverd words“ besteht):

    You, hear me! Give this fire to that old man. Pull the black worm off the bark and give it to the mother. And no spitting in the ashes!

    Als Nicht-Linguist war ich zunächst von diesem Ergebnis der Studie begeistert. Bis ich (via Sprachlog) auf eine fundierte wissenschaftliche Kritik dieser Studie stieß. Der Bedeutungswandel den einzelne Wörter durchmachen, ist schon innerhalb einer Sprachfamilie und während einer kurzen Zeitperiode enorm. Sehr eindrucksvoll demonstriert die direkte Übersetzung des obigen Satzes ins Russische wie schwer es wäre, mit 15 000 Jahren Unterschied auch nur annähernd zu verstehen worum es ginge:

    Vy, uslyshte menja! Dajte etot ogon’ tomu staromu muzhu. Potjanite chjornogo chervja s kory i dajte jego materi. I ne plevat’ v pepel!

    Na, verstanden?

    Sehr einleuchtend wird die Kritik auch durch die beispielhafte Darstellung der Entwicklung des englischen Worts „man“, das ebenfalls auf der Liste der „ultraconserved words“ steht. Dieses Wort habe innerhalb von ca. 1000 Jahren einen so enormen Bedeutungswandel vom geschlechtsneutralen „Mensch“ bzw. „Person“ im Alt-Englischen zur geschlechtspezifischen „Mann“ im Mittel-Englischen durchlaufen, dass es als schlichtweg falsch erscheine überhaupt von „ultrakonservierten Wörtern“ zu sprechen.

    Die linguistische Kritik des Artikels endet nach einer stichhaltigen Beweisführung mit dem Fazit, dass die Suche nach Wörtern, die seit der letzten Eiszeit unverändert geblieben seien, zwar verführerisch, aber letztlich aussichtslos sei.

  • Grausame Abgründe

    Grausame Abgründe

    „Unsere Mütter, unsere Väter“ ist das Thema der Woche. Am Montag titelte die Bild-Zeitung:

    Waren deutsche Soldaten wirklich so grausam?

    Als ob durch den Film bisher unbekannte Wahrheiten ans Licht kämen. Das Fazit der Redaktion lautet:

    Ein Entrinnen aus der Hölle dieses Krieges gab es für die deutschen Soldaten nicht. Wer desertierte, wurde meistens aufgegriffen und von einem Standgericht im Schnellverfahren zum Tode durch Erschießen verurteilt. Mehr als 15 000 solcher Todesurteile wurden verhängt. So blieb den Soldaten nur, den Wahnsinn bis zum Ende zu ertragen. 

    Quelle: bild.de [Hervorhebungen von mir]

    Es ist wohl wahr, dass ein Soldat im Verlauf eines Krieges nur wenige Optionen hat. Desertation ist zwar eine davon, doch hochgefährlich. (Nebenbei: Es bleibt eine bodenlose Frechheit, dass denjenigen, die den Mut hatten, sich gegen dieses System zu entscheiden und zu desertieren noch immer kaum gedacht wird.)

    Dennoch: Der Zweite Weltkrieg war kein Zufall. Er ist nicht „über die Deutschen gekommen“. Die deutsche Bevölkerung hat dieses Regime gewählt und unterstützt, dessen Grundlage unter anderem die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ war.

    Rassismus, Nationalismus und Expansionismus amalgamierten zu einer verbrecherischen Ideologie, von deren Umsetzung in ein Staatskonzept ein großer Teil der Deutschen profitierte.

    Jener Teil, der nach dem Krieg gerne darauf verzichtet hätte, sich mit der eigenen Verstrickung auseinanderzusetzen oder gar die eigene Schuld anzuerkennen.

    Man kann nur staunenderweise den Kopf schütteln, wenn man sich beispielsweise die Karriere eines Hans Globke vor Augen führt, der zunächst an den berüchtigten Nürnberger Rassegesetzen mitgewirkt hat und später bis zu dessen Abwahl Staatsekretär im Kanzleramt von Konrad Adenauer wurde.

    Es sind diese Unfassbarkeiten gepaart mit der Forderung von Opfern dieses Unrechts-Regimes, die Verbrechen niemals zu vergessen (was – wie erwähnt – ein Großteil der Täter und sonstwie Verstrickten lieber doch getan hätte), der es schwer aushaltbar macht, wenn der populärste Kommentar zum oben erwähnten Bericht der Bild Zeitung lautet:

    bild.de Kommentar-Screenshot
    bild.de Kommentar-Screenshot

     

    Die nachkommenden Generationen haben keine Schuld und sie brauchen keinen Schuldkomplex. Aber sie müssen sich ihrer Verantwortung stellen; der Verantwortung so etwas nicht wieder zuzulassen genauso, wie der Verantwortung diese Verbrechen nicht einfach zu vergessen. Das bleiben wir den Opfern schuldig.

    Aber ob es dafür ausgerechnet diesen Film benötigt, daran zweifle nicht nur ich.