Kategorie: Blog

  • Medienkritik: Jana und der Buschpilot

    Medienkritik: Jana und der Buschpilot

    Würde sich das ZDF nicht damit rühmen einen „authentischen, ethnografischen Blick auf den afrikanischen Kontinent“ produziert zu haben, diese Film-Besprechung über die ZDF-Herzkino-Reihe wäre wohl kaum geschrieben worden. Denn zu offensichtlich sind die folkloristischen, rassistischen und exotisierenden Klischees der Reihe, als dass der Verfasser es als notwendig empfunden hätte, im einzelnen darauf einzugehen.

    Aber laut ZDF möchte „Jana und der Buschpilot“ „[…] mehr bieten als gutgemachte Unterhaltung, in der gar die überlegenen Weißen die Eingeborenen Schwarzafrikas mit den Errungenschaften westlicher Lebensart und Medizin beglücken. Vielmehr stellt Jana in der für sie fremden Welt ständig ihre Werte, Vorstellungen und Maßstäbe in Frage. […] Wir wollten keine afrikanische TV-Folklore präsentieren, sondern einen möglichst authentischen ethnografischen Blick auf den afrikanischen Kontinent, der es uns auch ermöglicht, aktuelle, relevante Probleme Afrikas zu erzählen. Denn der respektvolle Umgang mit anderen Kulturen und Lebensarten ist gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je.“ [1]

    Und doch perpetuiert das ZDF erneut ein Afrika-Bild, das vor allem als Projektionsfläche Weißer Fantasien existiert. Ein Bild, in dem, trotz der angeblichen ethnografischen Authentizität, rückständiges Stammesrecht erst durch die Anwesenheit und die Initiative der Weißen Europäerin überwunden werden kann. Dieses Bild wird zudem noch verstärkt durch ein im besten Fall naiven, völlig unreflektierten Gebrauch von problematischen Begriffen (wie „Busch“ oder „Eingeborene“) selbst im redaktionellen Begleittext der Reihe.[2]

    „Krieg der Stämme“

    Im ersten Teil der Reihe „Krieg der Stämme“[3] verursacht ein Autounfall einen schweren Konflikt. Der Fahrer Obahir, vom (fiktiven?) „Stamm“ der „Fahskhars“, überfährt einen Hirten des verfeindeten „Stammes“ der „Jahkauv“. Bereits in dieser Szene sieht der deutsche Fernsehzuschauer eine sich bedrohlich formierende Gruppe Schwarzer, mit nackten Oberkörpern, bemalten Gesichtern und „traditionellen“ Beintüchern, mit Knüppeln und Stöcken bewaffnet auf die Kamera zuschreiten.

    Die Gruppe verprügelt den Fahrer, die Stimmung ist aggressiv. Als das Flugzeug mit dem Buschpiloten Thomas Marrach und der herbeigerufenen Ärztin eintrifft, ruft die Ärztin Jana Vollendorf: „Oh Gott, der wird gelyncht.“

    Bald wird klar, es gibt ein Abkommen zwischen den „Stämmen“: „Auge um Auge. Zahn um Zahn. Nicht originell, aber für solche Stämme wahrscheinlich das Beste“, wie der als skrupelloser Kapitalist dargestellte Investor Seth Millen bemerkt.

    Dieser „Stammespakt“ (Vollendorf) sichere seit 30 Jahren den Frieden zwischen den „Stämmen“ und als der Hirte stirbt, fordern die „Jahkauv“ das Leben des Fahrers Obahirs.

    Der Plot, angereichert um die Dimension der Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung der Bodenschätze, wird angetrieben durch die Konfrontation von „Tradition“ und „Moderne“, europäischer Vernunft und afrikanischer Irrationalität. Dabei stehen die meisten afrikanischen Figuren für die „Tradition“ (oder ergeben sich in diese), Jana Vollendorf dagegen für die westliche „Moderne“. Die Irrationalität der „Tradition“ fasst Vollendorf zusammen: „Logik. Hier, wo Menschen sich gegenseitig umbringen, damit sie sich nicht gegenseitig umbringen.“

    Damit reproduziert der Film das klassische kolonial geformte Bild des „Wilden“ und stellt ihm die Konstruktion einer identifikationsstiftenden Weißen, deutschen Frau entgegen, deren Anwesenheit im „Busch“ nicht nur durch ihre medizinischen Kenntnisse, sondern auch durch ihr zivilisatorisches Eingreifen legitimiert wird.

    Die zusätzliche Dimension der Kritik an der kapitalistischen Inhumanität findet ebenfalls nur als Folie für die handelnden Weißen statt. Die Afrikaner werden auf ihren Status als Opfer reduziert, sind so kaum mehr als Requisiten in der Geschichte des Kampfes zwischen humanitärer Gesinnung Vollendorfs und der kapitalistischen Ausbeutung, vertreten durch den Minenbesitzer Michael Shorn und den Investor Seth Millen.

    „Einsame Entscheidung“

    Im zweiten Teil der Reihe „Einsame Entscheidung“[4] retten der Buschpilot und die Ärztin den Ethnologen Philip Lavar, der am Marburg-Virus erkrankt ist. Bald stellt sich heraus, dass auch ein Kind des entlegenen Jhaskais-„Stammes“ infiziert ist.

    Der „Stamm“ der Jhaskais „schottet sich seit jeher ab“ sagt die Krankenschwester Rosi zu Vollendorf. Als Vollendorf darauf erwidert, dass sie das Kind aber nicht einfach sterben lassen könne, betont Rosi: „Afrika ist nicht Deutschland. Hier gelten andere Regeln. Für uns gehört der Tod zum Leben dazu.“

    Als die Ärztin die Jhaskais schließlich dennoch aufsucht, wird ein Ritual gezeigt, das Vollendorf an „die letzte Ölung“ erinnert: „Die kümmern sich gar nicht um die Genesung des Mädchens; die kümmern sich um ihren Tod.“ Auch in dieser Szene bezieht der Film seine Bildsprache aus dem Fundus des bestehenden kulturellen Archivs der etablierten Afrika-Bilder: bemalte Schwarze tanzen, mit Kalaschnikows bewaffnet, zum Sound von Buschtrommeln im Kreis um das Mädchen auf ihren Tod vorzubereiten.

    Die Ärztin rettet das Kind durch eine Entführung und erzürnt dadurch den „Stamm“, der „Fremde“ hasst, das Krankenhaus mit Kalaschnikows angreift und nur durch das beherzte Eingreifen der männlichen Figuren in die Flucht geschlagen wird.

    Wie im ersten Teil der Reihe wird der Plot durch die Konfrontation zwischen Tradition und Moderne angetrieben. Und wie im ersten Teil dient eine Weiße Figur, hier die hinterhältige und skrupellose Figur des Ethnologen Lavar, zur Abgrenzung und Einführung einer zusätzlichen Dimension der Legitimation: Die Afrikaner müssen vor den Umtrieben der egoistischen, unmenschlichen und skrupellosen Europäer geschützt werden.

    Nur durch Vollendorfs Anwesenheit überlebt der „Stamm“, nur durch ihre Intervention wird der „stammes“-interne Streit gelöst.

    Dabei zeigt sich die Konfrontation von afrikanischer „Tradition“ und europäischer „Moderne“ auch in der Bildsprache: hier die westlich gekleideten Weißen, die in repräsentativen kolonial-nostalgischen Steinbauten (erbaut: 1936) wohnen und arbeiten – dort die nackten, bemalten „Wilden“, die in primitiven Zelten und Hütten hausen.

    Dabei versuchen die Filme durchaus teilweise zu differenzieren. Die Figuren Obahir (der Fahrer im ersten Teil) und Rosi (die Krankenschwester) zeigen Schwarze Menschen in moderner westlicher Kleidung. Rosi reflektiert sogar über den Widerspruch von afrikanischer Tradition und europäischer Zivilisation. Bemerkenswert bleibt aber, dass im Gegensatz zu den Weißen Figuren die Schwarzen Figuren keine Nachnamen tragen und dass offensichtlich die Nähe zu den Weißen Hauptfiguren ein entscheidendes Kriterium für diese positive Zuordnung ist.

    Die Reduktion und Homogenisierung Afrikas zu einem unbestimmten „Schwarzafrika“, in welchem „Stämme“ sich aufgrund von archaischen Traditionen gegenseitig umbringen oder aufgrund von Xenophobie die Weißen, die „nur helfen wollen“, mit Kalaschnikows angreifen, dient so auch zur Selbstaffirmation des friedvollen, aufgeklärten und modernen „Eigenen“, das dem so inszenierten „Anderen“ diametral gegenübersteht.[5] Die meisten dargestellten „Eingeborenen“ befinden sich auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe, die das eigene, unmarkierte Weißsein zur zu erreichenden Norm erhebt. Diese Denk- und Sprachmuster weisen eine deutliche Kontinuität in den (deutschen) Kolonialismus auf, in dem ebenfalls das zivilisatorische Sendungsbewusstsein die Kolonialherrschaft als Zivilisierungsmission rechtfertigen sollte. Dass dieser Export von Normen und Werten durch die Protagonisten in den Filmen durchaus in Frage gestellt wird, dient letztlich auch nur zur postmodernen Legitimation des eigenen Handelns. Denn die moralische Richtigkeit, z.B. das Leben des unschuldigen Kindes zu retten, kann durch die Konstruktion des Plots kaum ernsthaft in Zweifel gezogen werden.

    Es mag kaum verwundern, dass in der Reihe „Herzkino“ zudem die Konstruktion von weiblicher und männlicher Weißheit klassischen Rollenklischees entspricht: dort der männliche Abenteurer (Buschpilot) und hier die weibliche Ärztin. Auch wenn diese Anknüpfung sicher nicht bewusst geschehen ist: Krankenpflege war tatsächlich neben der christlichen Mission die klassische Rolle für Frauen in den deutschen Kolonien.[6]

    Mit dieser Mischung aus trivialer Liebesgeschichte, Abenteuer, Exotik und zivilisatorischer Überlegenheit fügt sich die Reihe nahtlos in einen Afrika-Diskurs ein, der tief in kolonial-nostalgischen Narrativen wurzelt. Dass das ZDF „keine afrikanische TV-Folklore“ produzieren wollte, mag man angesichts dessen kaum glauben.

     

    [1] https://presseportal.zdf.de/pm/jana-und-der-buschpilot/, zuletzt eingesehen am 20.9.2015.

    [2] Für eine Einführung in diese problematischen Begrifflichkeiten vgl.: Arndt, Susan; Hornscheid, Antje (Hrsg.):

    Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, 2. Aufl., Münster 2009.

    [3] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2462052/Jana-und-der-Buschpilot-%2528Teil-2%2529#/beitrag/video/2462040/Jana-und-der-Buschpilot-%28Teil-1%29, zuletzt eingesehen am 20.9.2015.

    [4] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2462052/Jana-und-der-Buschpilot-%2528Teil-2%2529#/beitrag/video/2462052/Jana-und-der-Buschpilot-%28Teil-2%29, zuletzt eingesehen am 20.9.2015.

    [5] Siehe dazu v.a. die Werke Saids, der die kulturelle Konstruktion des „orientalen Anderen“ als kulturelles Gegenbild des „okzidentalen Eigenen“ in seiner bahnbrechenden Studie „Orientalism“ analysierte und später diese Analyse der Betrachtung kultureller Praxen auf weitere „Kulturräume“ ausweitete: Said, Edward: Orientalismus, Frankfurt am Main 2009; ders.: Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht, Frankfurt am Main 1993. Zur Kritik an Saids teilweise essenzialistischen Ideen aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive siehe: MacKenzie, John M.: Orientalism. History, theory and the arts, Manchester 1995.

    [6] Vgl. Dietrich, Anette: Weiße Weiblichkeiten. Konstruktion von „Rasse“ und Geschlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld 2007, S. 254-258.

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  • Christa Goetsch über die Aufarbeitung des „kolonialen Erbes“ in Hamburg

    Christa Goetsch sprach am 22.01.2015 in der Hamburgischen Bürgerschaft über die Aufarbeitung des (post-)kolonialen Erbes, welche einen „langen Atem“ und „Durchhaltevermögen“ benötige.

  • Rezension: Sven Beckert: King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus

    Rezension: Sven Beckert: King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus

    9783406659218_cover[1]In der Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen: unter dem Etikett der „transnationalen“ bzw. „Globalgeschichte“ werden in einem stark wachsenden Feld der Geschichtswissenschaft Wechselwirkungen und Verflechtungen der globalisierten Welt untersucht und dabei der Versuch unternommen, die eurozentrische und nationalgeschichtliche Perspektive älterer Historiografie zu überwinden.[1]

    Insbesondere global gehandelte Güter wie Kaffee, Zucker, Tee oder Baumwolle bieten sich an, transnationale Verflechtungen kenntlich zu machen und ermöglichen eine Verbindung von regionaler Mikro- mit globaler Makrogeschichte.[2]

    Der Harvard-Professor Sven Beckert hat nun mit „King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kaptialismus“ eine beeindruckende Studie vorgelegt, die anhand Baumwollproduktion und –industrie Antworten auf die Frage sucht, warum und wie es zu den bis heute wirkmächtigen Unterschieden zwischen dem globalen Norden und Süden – der „Great Divirgence“ gekommen ist.[3]

    Dass Beckert Baumwolle in den Fokus seiner Forschung stellt, ist einleuchtend: Wie kaum ein anderer Rohstoff steht die Veränderung der Baumwollproduktion am Anfang der globalen Ausbreitung des Kapitalismus – von intensiver Arbeitsteilung, Produktionssteigerung und expandierender sozialer Ungleichheit.

    Dabei begnügt sich Beckert nicht mit konventionellen Antworten im Rahmen des Modernisierungsnarrativs – nach dem Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Kapitalismus zusammengedacht werden, sondern stellt Zusammenhänge zwischen der Transformation des Wirtschaftssystems und der imperialen Expansion her. Denn, so Beckert, Sklaverei, kolonialer Landraub und der Einsatz von Zwang und Gewalt zur Gewinnmaximierung seien nicht nur Ausrutscher des kapitalistischen Systems. Vielmehr stünde die von ihm als „Kriegskapitalismus“ bezeichnete Phase der „Enteignung von Land und Arbeitern in Afrika, Asien und den Amerikas“ am Anfang eines sich global ausbreitenden Kapitalismus und brachte den Industriekapitalismus erst hervor.

    Damit widerspricht Beckert auch einem Trugschluss wirtschaftsliberaler Theoretiker, dass sich der Markt optimaler Weise ohne die Einmischung des Staates entwickeln würde. Der Staat habe im Gegenteil erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass es einen Markt gibt. Die Genese und Entwicklung moderner Nationalstaaten und die Globalisierung schlössen demzufolge auch nicht aus sondern bedingen und verstärkten sich wechselseitig: „Wenn unser angeblich neues globales Zeitalter sich auf revolutionäre Weise von der Vergangenheit unterscheidet, […] dann dadurch, dass Kapitalbesitzer erstmals in der Lage sind sich von genau jenen Nationalstaaten zu emanzipieren, die in der Vergangenheit ihren Aufstieg ermöglicht haben.“[4]

    Beckerts Verdienst ist, dass er diese Zusammenhänge nicht nur als große These verfolgt, sondern sie auf einer breiten empirischen Basis belegt. Herausgekommen ist keine theoretische Analyse des globalen Kapitalismus sondern ein Breites Panorama des „Kapitalismus in Aktion“.

    [1] In den letzten Jahren erschien eine Reihe globalgeschichtlicher Studien, von denen drei herausragende Arbeiten genannt werden sollen: Bayly, Christopher Alan: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780 – 1914, Frankfurt 2006; Wendt, Reinhard: Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500, Paderborn [u.a.] 2007; Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009. Viele Studien, denen das Etikett „transnationale“ bzw. „Globalgeschichte“ anhaftet, sind freilich Studien globaler Phänomene im nationalen Kontext. Oft ist der Unterschied zur historischen Komparatistik zudem unklar. Der schwierigen Etikettierung zum Trotz, erweitern diese Arbeiten die Perspektive der nationalen Geschichtsschreibung und ermöglichen dadurch einen fruchtbaren Zugriff auf historische Gemengelagen, so u.a. Conrad, Sebastian: Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich, München 2006.

    [2] Vgl. u.a.: Clarence-Smith, W. G.; Topik, Steven: The global coffee economy in Africa, Asia and Latin America, 1500-1989, Cambridge, UK, New York 2003; Mintz, Sidney W.: Sweetness and power. The place of sugar in modern history, New York 1985; Mair, Victor H.; Hoh, Erling: The true history of tea, New York, London 2009; Riello, Giorgio: Cotton. The fabric that made the modern world, Cambridge 2013.

    [3] Pomeranz, Kenneth: The great divergence. China, Europe, and the making of the modern world economy, Princeton, N.J. 2000.

    [4] Beckert, Sven: King Cotton: Eine Globalgeschichte des Kapitalismus, München 2014, S. 17.

  • Großbritannien „entdeckt“ 170.000 Akten

    Großbritannien „entdeckt“ 170.000 Akten

    „Surprise, surprise. We’ve heard this before.“ kommentiert Harvard Professorin Caroline Elkins in der VICE den neuesten Fund vermeintlich verschollener Akten des Foreign and Commonwealth Office. Über 600.000 Akten (unter anderem bisher unbekannte Akten über den transatlantischen Sklavenhandel) lagern noch in den „special collections“ des FCO, die der Öffentlichkeit nicht zugängig sind. Damit verstößt das FCO seit Jahren gegen das britische „Public Records“ Gesetz, das den öffentlichen Zugang zu Archivgut regelt. Schon länger besteht unter Historikern der Verdacht, dass das FCO die Akten der „special collections“ wissentlich geheimhält.

     

     

  • Globalgeschichte im Harvard Magazine

    Globalgeschichte im Harvard Magazine

    Das Harvard Magazine beschäftigt sich in seiner aktuellen Ausgabe mit den veränderten Perspektiven der Geschichtswissenschaft.

    Global history is “the kind of idea that, once you have it, is impossible to go back from,” Beckert continues. “You can’t. It’s going to be with you forever because it’s just a different way of seeing history.” While it opens new questions, it “also opens up totally new understandings of particular historical problems such as the problem of slavery. You understand, on a global scale, that the global problem, from the perspective of European colonialists and European entrepreneurs, is really how to transform the countryside. The resulting transformation takes different forms in different parts of the world, but sometimes it’s also quite similar. After the Civil War, for example, sharecropping becomes dominant in the United States, but it’s also important in Egypt, Mexico, Brazil, and other parts of the world. People in these places learn from one another. They observe one another.”

    http://harvardmagazine.com/2014/11/the-new-histories

  • Kritzeleien in Mittelalterlichen Handschriften

    Kritzeleien in Mittelalterlichen Handschriften

    Erik Kwakkel (nebenbei bemerkt: was für ein toller Nachname) erforscht Kritzeleien in mittelalterlichen Handschriften.

    Sein tumblr-Blog ist so voll von Skurrilitäten, Niedlichkeiten und Fantastischem, dass ich gar nicht aufhören konnte, darin zu lesen.

    Starkes Stück!

    (Artikelbild von Erik Kwakkel. Im Original: Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, MS 95 (Missal, 12th century).)

  • Kontrafaktisches Afrika

    Kontrafaktisches Afrika

    africasanscolonizationKontrafaktische Geschichtsschreibung wird von den meisten Historikern nicht als wirklich seriöse Methode anerkannt, da die Möglichkeit der Falsifizierbarkeit nicht gegeben ist.

    Die Frage nach einem „Was wäre wenn?“ kann aber besonders in didaktischen und pädagogischen Zusammenhängen erhellend wirken und einem deterministischen und teleologischen Geschichtsbild entgegenwirken.

    In diese Sparte fällt auch eine gerade in der Washington Post publizierte Karte Afrikas, welche die Dinge sprichwörtlich auf den Kopf stellt und dabei helfen kann, einen gewissen Teil der Konflikte und Probleme, die durch die Kolonisierung entstanden sind, zu hinterfragen.

    Auf Basis von politischen, ethnischen und linguistischen Studien zeichnete der schwedische Künstler Nikolaj Cyon eine Karte Afrikas, wie sie sich aus den Verhältnissen, die um 1844 vorlagen, hätten entwickeln können.

    Ungewiss bleibt dabei, welche der vielfältigen ethnischen und linguistischen Gruppen 1844 tatsächlich jene Ausbreitung hatten. Unwahrscheinlich ist auch, dass alle dieser Gruppen, Staaten nach Westfälischem System mit klar definierten Territorien gebildet hätten.

    Zum Vergleich der Ikonografie eine 1885 (direkt nach der Kongokonferenz) Herausgegebene Karte, in der die jeweiligen europäischen Ansprüche farbig markiert wurden.
    Zum Vergleich der Ikonografie eine 1885 (direkt nach der Kongokonferenz) Herausgegebene Karte, in der die jeweiligen europäischen Ansprüche farbig markiert wurden.

    Dennoch ist die Karte ein gutes Beispiel für gelungene kontrafaktische Geschichtsschreibung. Sie bedient sich der ikonographischen Ästhetik der politischen Karten des 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts – und dreht sie auf den Kopf. Diese Verfremdung kulturell gelernter Perspektiven kann dabei helfen, jene wirkmächtigen Bilder zu dekonstruieren, die durch Karten vermittelt wurden und noch heute ein Bild des prä-kolonialen Afrikas zeichnen, das durch das Vorhandensein von großen „weißen Flecken“ geradezu auf die Entdeckung und Kolonisierung wartete.

    Die Zusammenstellung der Washington Post ist insgesamt sehr wertvoll und bekommt ein dringendes Lesezeichen.

     

  • Historischer Atlas: Wie weit kommt man mit einer Tagesreise ab New York?

    Historischer Atlas: Wie weit kommt man mit einer Tagesreise ab New York?

    Die Moderne ist eine Zeit der massiven Beschleunigung. Wir erleben seit den 1990er Jahren eine enorme Beschleunigung der Kommunikation, mithilfe derer wir in Echtzeit mit Menschen überall auf der Welt schreiben, telefonieren oder videotelefonieren können.

    Die Beschleunigung und Veränderung der Mobilität wird heutzutage als beinahe selbstverständlich betrachtet. Dabei hilft es die Perspektive manchmal zu erweitern. Strecken, die früher Tage, Wochen oder Monate gedauert haben, brauchen heute mit dem geeigneten Verkehrsmittel nur noch wenige Stunden.

    In einem digitalisierten historischen Weltaltlas, lässt sich nachvollziehen, wie weit man innerhalb einer Tagesreise ab New York gekommen ist.

    Quartz hat daraus eine leicht verständliche Karte gestaltet:

     

    timetravelto_nyc

    Quelle


    Der digitalisierte Atlas ist aber mehr als nur diesen einen Blick wert. Es gibt nicht nur einfach Digitalisate zu betrachten, der Atlas lässt sich vielmehr interaktiv bedienen. So können Entwicklungen im Zeitverlauf auch animiert betrachtet werden. Zudem gibt es eine gute Einleitung zu dieser digitalen Ausgabe des historischen Atlas der USA:

    historischer_atlas

    Quelle

     

     

  • Sklaverei: Karibische Staaten verklagen ehemalige Kolonialmächte

    Nachdem die Klage von Veteranen der „Mau Mau Revolution“, die in den 1950er Jahren das koloniale Selbstverständnis Großbritanniens erschütterte, 2012 spektakulären Erfolg hatte und zu einer neuen und intensiven historischen Aufarbeitung führte, vertritt dieselbe Anwaltskanzlei eine neue Klage zahlreicher Staaten der Karibik gegen Großbritannien, Holland und Frankreich wegen der Verbrechen und des Schadens der durch den transatlantischen Sklavenhandel verursacht wurde.

    Auch wenn diese Klage tatsächlich weniger erfolgversprechend ist, wie jene der Mau Mau Veteranen, so birgt auch diese Klage das Potenzial zu einer umfassenden historischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung.

     

    Quelle: http://www.nytimes.com/2013/10/21/world/americas/caribbean-nations-to-seek-reparations-putting-price-on-damage-of-slavery.html

  • Words that last – oder doch nicht?

    Words that last – oder doch nicht?

    words-that-last
    Screenshot (Quelle: http://www.washingtonpost.com/wp-srv/special/national/words-that-last/)

    Vor einigen Tagen ging eine Studie der University of Reading durch die Medien, in der ein Team von Linguisten 23 vermeintlich „ultraconserved words“ ausgemacht haben, die sich seit 15 000 Jahren in diversen Sprachen nahezu unverändert erhalten haben und auf eine gemeinsame Ur-Sprache („proto-Eurasiatic“) zurückgehen würden.

    Die dahinterstehende Idee ist faszinierend. Könnte man sich in eine Zeitmaschine setzen und einige Tausend Jahre zurück reisen, so würden die Menschen, auf die man dann in Europa oder Asien träfe folgenden Satz verstehen (der haupstächlich aus diesen „ultraconserverd words“ besteht):

    You, hear me! Give this fire to that old man. Pull the black worm off the bark and give it to the mother. And no spitting in the ashes!

    Als Nicht-Linguist war ich zunächst von diesem Ergebnis der Studie begeistert. Bis ich (via Sprachlog) auf eine fundierte wissenschaftliche Kritik dieser Studie stieß. Der Bedeutungswandel den einzelne Wörter durchmachen, ist schon innerhalb einer Sprachfamilie und während einer kurzen Zeitperiode enorm. Sehr eindrucksvoll demonstriert die direkte Übersetzung des obigen Satzes ins Russische wie schwer es wäre, mit 15 000 Jahren Unterschied auch nur annähernd zu verstehen worum es ginge:

    Vy, uslyshte menja! Dajte etot ogon’ tomu staromu muzhu. Potjanite chjornogo chervja s kory i dajte jego materi. I ne plevat’ v pepel!

    Na, verstanden?

    Sehr einleuchtend wird die Kritik auch durch die beispielhafte Darstellung der Entwicklung des englischen Worts „man“, das ebenfalls auf der Liste der „ultraconserved words“ steht. Dieses Wort habe innerhalb von ca. 1000 Jahren einen so enormen Bedeutungswandel vom geschlechtsneutralen „Mensch“ bzw. „Person“ im Alt-Englischen zur geschlechtspezifischen „Mann“ im Mittel-Englischen durchlaufen, dass es als schlichtweg falsch erscheine überhaupt von „ultrakonservierten Wörtern“ zu sprechen.

    Die linguistische Kritik des Artikels endet nach einer stichhaltigen Beweisführung mit dem Fazit, dass die Suche nach Wörtern, die seit der letzten Eiszeit unverändert geblieben seien, zwar verführerisch, aber letztlich aussichtslos sei.