Sie ist wieder da. Die altbekannte Argumentation, der Nationalsozialismus sei wesentlich eine Reaktion auf die Schrecken kommunistischen Terrors. Durch eine Hintertür findet sie wieder Eingang in die Analyse des heutigen Rechtsextremismus.
Viel wurde in den letzten Jahren – man denke nur an die Initiativen von Kristina Schröder – vonseiten des politischen Mainstreams dafür getan, mithilfe der Totalitarismus-Theorie eine Wesensgleichheit von Linksextremismus und Rechtsextremismus zu behaupten.
Ich will gar nicht auf den Irrsinn dieser Gleichsetzung eingehen, sondern ein anderes Phänomen beleuchten, das sich am Rande einer solchen Gleichsetzung zu entwickeln scheint: die Vorstellung nämlich, dass der Rechtsextremismus eine psychologische Abwehrreaktion auf den Linksextremismus darstelle.
Eine ähnliche Argumentation findet sich in der Debatte um den Rechtsterrorismus wieder:
Wer im Westen als zorniger Junger oppositionell wurde, musste links werden. In der DDR waren aber Kommunisten an der Staatsmacht, und die Mitläufer des Systems gebärdeten sich „fortschrittlich“. Der DDR-Schriftsteller Klaus Schlesinger warnte uns westdeutsche Linke einmal davor, in jedem DDR-Schüler, der irgendwo ein Hakenkreuz ins Holz geritzt hat, gleich einen „Fascho“ zu sehen. Das sei eben die größtmögliche Provokation in einem Staat mit verordnetem Antifaschismus. „Was verboten ist, das macht uns grade scharf“, sang Wolf Biermann Mitte der Sechziger in Ost-Berlin.
Schreibt Günter Platzdasch letzte Woche in der FAZ.
Diese beinahe apologetisch anmutende Argumentation ähnelt derjenigen konservativer Historiker im “Historikerstreit” frappierend. Dort stritt u.a. Jürgen Habermas gegen Ernst Nolte’s Interpretation, die Vernichtungslager der Nazis stünden in einem direkten Zusammenhang mit dem stalinistischen Terror. Diese Auslegung war lange Zeit sehr populär. Die Verbrechen der Nazis konnten aus den Erfahrungen der Oktoberrevolution und der Etablierung des russischen Kommunismus erklärt – und zugleich (das ist Habermas’ Vorwurf) – relativiert werden. Diese Argumentation ist quasi die Folie für die Interpretation, der heutige deutsche Rechtsextremismus sei eine direkte Folge der Unterdrückung im DDR-Staat.
Nun möchte ich dem Autor weder vorwerfen uninformiert zu sein, noch sich bewusst an diese Argumentation anzulehnen. Es erscheint mir vielmehr wie ein unbewusster Reflex, rechtsextreme Verbrechen kausal mit linksextremen “Totalitarismus” in Verbindung zu bringen, der unter anderem durch die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus in der Totalitarismus-Theorie begünstigt wurde.
Denn die Spiegelung, die Platzdasch impliziert, lautet:
Wer im Westen Osten als zorniger Junger oppositionell wurde, musste links rechts werden.
Er windet sich zwar um diese Aussage mit der richtigen Feststellung, dass nicht jeder “DDR-Schüler, der irgendwo ein Hakenkreuz ins Holz geritzt hat, gleich ein[…] «Fascho»” sei, doch ändert das nichts an der Tendenz des zitierten Abschnitts, eine kausale Verbindung zwischen heutigem Rechtsterrorismus und der DDR herzustellen.
Mal davon abgesehen, dass rechte Gesinnung ganz sicher nicht die einzig denkbare Form geistigen Widerstandes in der DDR war (es gab eine ziemlich subversive und von der Stasi unterwanderte linke Punkszene etc.), kann man diagnostizieren, dass einerseits rassistische Einstellungen durchaus weit verbreitet sind in der deutschen Gesellschaft und dass es andererseits in besonders in strukturschwachen Regionen und in prekarisierten Gesellschaftsschichten zu einer besonderen Auslebung dieser Einstellungen kommt.
Anders gesagt: es hilft nicht auf die Unterschiede in der Ausprägung rechtsextremer Gesinnung zwischen Ost-Deutschland und West-Deutschland zu verweisen, wenn dabei nicht die verschiedenen sozialen und ökonomischen Faktoren mitbedacht werden.
Die Analyse des Rechtsterrorismus muss die politisch-historischen und ideologischen Hintergründe aufklären und benennen. Sie darf aber nicht den Fehler begehen, den Reflexen der Totalitarismus-Theorie nachzugeben und darüber die genaue Analyse sozio-ökonomischer Faktoren (zu denen auch die Bereitstellung einer sozialen Infrastruktur gehört) zu vernachlässigen. Es wäre eine fatale analytische Fehlleistung die Entstehung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland alleine aus der Geschichte der DDR zu erklären.
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